Dominique

Jochen, der alte Eselskopf, hat mich kürzlich gefragt, seit wann ich mir so ein goldenes Ding um den Hals hänge und wie ich wohl an diese Narbe gekommen bin, diese kleine, genau unter der linken Brustwarze, da, wo das Herz is'. - Dabei müßte er 's eigentlich wissen.
Manchmal wünscht man sich alles anders. Die Sache mit Dominique zum Beispiel ... Dominique war eins von den Mädchen, wo man 'n Geigenorchester hört, wenn so eine um die Ecke kommt, wo man das Gefühl hat, die Fußspitzen streicheln erst jeden Wegkiesel, bevor sie drauftritt. Jedem Schritt, jeder Bewegung ging eine Art seele-einhauchendes Schweben voraus. - Dabei war sie durchaus handfest, hatte nichts Betuliches, schon gar nichts Behäbiges - eher die herausfordernde Geschmeidigkeit eines jungen Leguans oder eines fliegenden Fischs.
Jochen hat damals behauptet, sie wär' bestimmt bloß kurzsichtig und nur zu eitel für 'ne Brille - daher die Zögerei bei jedem Auftreten und bei jedem Griff. - Oder sie wär' mäkelig ... Das war sie aber nicht.
Dominique hab' ich kennengelernt, als ich gerade mit dem Pudel-Rüden von der alten Schulte unterwegs war. Die war mäkelig, Dominique nicht! - Ich lüftete den Köter zum Taschengeld-Aufbessern und hatte ewig gebraucht, der Alten klarzustoßen, daß ihr feiner Fridolin durch mich nicht auf unanständige Gedanken käm'. Ehrlich gesagt, ihre Panik fand ich abwegig.
Da freilich kannte ich Dominique noch nicht.
Als die mir damals über 'n Weg lief, trug sie 'n total knappen Minirock und beide Schuhe in der Hand. Ihr Geigenorchester spielte sich die Finger wund vor lauter Kieselsteine-Streicheln. Es war der erste wirklich heiße Tag im Jahr. Und Dominique roch nach Zimt.
Mit „Eh, du bist ja süß!“ hat sie sich auf den Pudel gestürzt und ihre Treter neben sich auf 'n Kiesweg geparkt. Und dann hat sie den wohlerzogenen Fridolin „gekrault“ - oder wie man das nennt. Jedenfalls hat sich der räudige Rüde auf 'm Rücken gewälzt und ihre flinken Mädchenhände bereitwillig seine „Libido“ polieren lassen - also unten eben ... Schließlich stand an dem Hund was leuchturmmäßig in die Höhe, und die Mütter zogen ihre Kinder weg. - Fridolins alte Dame hätte glatt 'n Herzschlag gekriegt!
Und Dominique? - Sie tat, als merkte sie gar nichts. Guckte stattdessen in der Gegend rum und musterte das erstbeste Objekt das ihr in die Linse kam: mich. - An meiner linken Hand fing sie an: Es piekte, als hätte mich was gestochen; war aber nur ihr Blick. Und mein Oberarm juckte plötzlich wie eingegipst. Dann wurde mein Ohr heiß - komisch, das. Und wie ihre Augen meinen Hals runterfuhren, mußte ich unwillkürlich schlucken. Ihr Blick hatte was von der Geschmeidigkeit ihrer Gliedmaßen, und offenbar war er mindestens so handgreiflich. Durchs Hemd durch hab' ich gespürt, wie Sie an meiner Brust runtergestreift ist, wie sie meinen Bauch prüfend zwischen die Finger genommen hat und wie sich ihre brackwasserblauen Augen schließlich - und mit voller Absicht - an meinem Hosenstall festgesaugt haben, während der jaulende Leuchtturm gegenüber immer höher wurde. Mir ist glatt die Unterhose zu eng geworden.
Dominiques Mini war beim Hinhocken übrigens bis weit über 'n Hochwasserpegel geklettert - das einzige, was ablenkte, war der Ausschnitt ihrer Mädchenbluse, wo drin so 'n kleines goldenes Kruzifix im Takt ihrer praktischen Tierfreundschaft zwischen den weiblichen Wölbungen Pingpong spielte. - Ich kann mich täuschen, aber ihrem Begleitorchester rissen massenweise Geigensaiten. - Dem Herrn Jesus muß es die reinste Freude gewesen sein, derart sportlich ihr „unschuldig' Herz“ zu bewachen.
Jochen ist mir nachher 'n Eisbeutel holen gegangen.
Wiedergesehen habe ich Dominique schließlich bei 'nem Malkurs, Volkshochschule. - Vor lauter Geigen hatte ich Schwierigkeiten, den Dozenten zu verstehen, und permanent war mir die Unterhose zu eng. Hatte gar nicht gewußt, daß Malen so anstrengt.
Zu dem Kurs kam sie immer, die Haare hochgesteckt und mit uralten Klamotten - von wegen Farbflecken und so: mit 'ner löchrigen Jeans zum Beispiel, die vorne nicht zuging und dafür hinten kaputt war ... Jedesmal wenn sie sich bückte, wettete das gesamte Geigenorchester, daß sie nichts drunter trug. - Drüber hatte sie übrigens meistens 'n fadenscheiniges rosa T-Shirt: Ihre Brustwarzenknöspchen schimmerten dunkel durch, und in der Mitte blitzte manchmal ihr Goldkreuzchen ... Farbflecken hatte, nebenbei gesagt, nachher meistens ich. Weil ich zuviel zu ihr rübergelinst hab': Mal hab' ich mir aus Versehen die Nase im Schmierlappen geputzt, mal hing ich mit der Hand in irgend 'ner Palette oder hab' mir mit dem falschen Ende vom Pinsel im Ohr gekratzt ... Wenn Dominique dann zufällig herschaute, was vorkam, wußte ich sowieso nie, ob gerade was an mir runterlief oder ob das wieder nur ihr Blick war. Wenn sie mir dann noch - nach dem Kurs - half, meine Haare wieder sauberzukriegen, und ich mich ganz dicht vor sie hinpflanzen mußte, breitbeinig auf so 'm Malerhocker, daß sie überall drankam, und ihre Knie manchmal meine Oberschenkel berührten ..., wenn ich dann mitten im Orchester saß, wo alles nach Zimt roch und ihre dunkelschimmernden Knöspchen oder ihr wachsamer Herr Jesus fast an meine Nase kam, ... dann hab' ich oft noch zusätzliche Flecken produziert - in meiner zu engen Hose nämlich. Echt peinlich, das! Und Jochen hat nachher keine Gelegenheit ausgelassen, dumme Witze zu reißen.
Einmal hat sich Dominique auch bekleckert: Die Tube mit dem Ultramarin ging nämlich nicht auf. - Dann ging sie plötzlich doch auf. - Die Farbe ist ihr mitten ins Gesicht gespritzt und von da in ihren Ausschnitt; die Knöspchen machten ihr nachher von innen blaue Tupfer ins T-Shirt ... Natürlich hab' ich ihr diesmal die Haare saubergemacht - so gut es ging, also umgekehrt: Sie saß dicht vor mir - und sie roch weniger nach Zimt als nach frischer Farbe, und aushilfsweise spielten Bratschen ... Bis heute weiß ich nicht, ob sie meinen Hosenstall nur einfach angeguckt hat oder ob sie mit ihren Fingern drin war. - Bei jeder anderen würde ich wetten, letzteres - aber bei Dominique?
Jedenfalls ging in meiner Hose plötzlich 'ne Feuerwerksmusik ab, etwas bratschenlastig, zugegeben; ich glaubte, mir würde das Gummiband explodieren. Mit beiden Händen hab' ich mich schließlich in Dominiques Haaren vergraben - weniger zum Saubermachen als zum Festhalten. - Meine Knie haben geschlottert, als füllte mir einer den Slip mit Pfeffersoße. Es soll Leute geben, die vor lauter Sinnesreizung wahnsinnig geworden sind ... - Ich mußte Dominique am Ende mit blauen Haaren heimgehen lassen, weil ich den vielen Pfeffer nicht vertrug.
„Schon gut“, meinte sie mit Unschuldsmiene, „Ultramarin ist schwer hartnäckig.“ „Schwer hartnäckig!“ hab' ich bestätigt. - Die Bratschen spielten Zupfbaß.
In peinlich durchfeuchteten Beinkleidern bin ich nach Hause gehumpelt. Noch tagelang hab' ich den Geruch von frischer Farbe nicht aus der Nase gekriegt, und untenrum hat sich alles ganz taub angefühlt.
„Du bleierst rum“, hat Jochen gesagt, „als hättst du was zwischen 'n Beinen, das dir nich' gehört!“ - Das traf. Als ich Dominique die Woche später wiedersah, hatte sie alles getan, ihre Jeans sauberzukriegen - dafür waren das jetzt mehr Löcher als Hose. Und statt des des uralten T-Shirts trug sie diesmal so was wie 'ne auf Kindergröße eingewaschene Strickweste, ärmellos und mit nur 'nem einzigen Knopf in der Mitte, der den Fetzen vorn notdürftig zusammenhielt. Ich registrierte ohne Schwierigkeiten, daß sie ihren Herrn Jesus ebenfalls zu Hause gelassen hatte. Ihr unschuldiger Busen war für heute demnach unbewacht.
Das beschloß ich ausnutzen: Nach dem Kurs schleppte ich sie in den Stadtpark ab. - Sie hatte auch neues Parfum. Schwerer irgendwie. Roch nach Klavierkonzert, fand ich. In ihrem Begleitorchester hatten die Streicher gekündigt. - Ehrlich gesagt, es kostete mich nicht wirklich Mühe, sie abzuschleppen, denn sie hatte offenbar das gleiche vor: Zielstrebig ließen wir die Publikumszonen hinter uns, und an der ersten menschenleeren Weggabel griffen wir uns, als ob abgesprochen, gegenseitig hinten in die Hose. - Der Abend war mild. Dominique trug wirklich keine Unterwäsche. Und ich atmete ihre Klavierbegleitung.
Ohne Ankündigung schubste sie mich auf 'ne Parkbank und warf sich im Reitsitz auf meinem Hosenstall. Hoppla! - Na, was soll ich sagen, ihre einladende Beinspreizung sprach sich natürlich in meinen Slip rum. Und da regte sich Männlichkeit - äußerst freiheitsliebend zwar, aber verstandesmäßig manchmal ziemlich unzugänglich - jedenfalls startete da unten 'n aussichtsloser Kampf „Oktopus gegen die Übermacht des Textils“. - Wir hatten schließlich beide 'ne Hose an ... Dominique schien das übrigens zu genießen: Mit schlängelnden Bewegungen tat sie alles, um den Kampf in meiner Hose anzuheizen. Kriegstreiberin, elendige! - Gemein eigentlich!
Bis heute weiß ich nicht, wieso mein Reißverschluß plötzlich versagt hat. Manchmal, hört man, stoßen Tintenfische durch Schiffswände. Und gegen meinen klaviertakt-getriebenen Preßluft-Tintenfisch hatten die morschen Spanten von Dominiques löchriger Mädchenjeans wohl keine Chance. - Wie durch die samtgrünen Bärte duftiger Algenwälder fanden seine Tentakel den Weg in die pulsierende Glut geheimen weiblichen Paarungsgrottendunkels ... Und Dominique? - Wie es aussah, war sie nicht einmal überrascht. Schien wohl mit meinem Besuch gerechnet zu haben. Zumindest kannte sie ihre Hose.
Mit kräftigen Malmbewegungen umschließt die listige Auster gierig den Fangarm des neugierigen Kraken. Dominiques Unterleib saugte sich förmlich an meinem „Kraken“ fest, und das wellenförmige Muskelspiel ihres „Tiefseegefängnisses“ ließ den Eindringling im Nu zu einem anglerwettbewerbsrekordverdächtigen Seeungeheuer anwachsen ... Alles anatomisch Mögliche schien mir ausgereizt. Auf problemlose Rückbildung wagte ich nicht mehr zu hoffen. Ich stellte mich darauf ein, auf unbestimmte Dauer mit Dominique hochseetauglich verflanscht zu sein.
Und Dominiques Hochsee kannte keinerlei Flaute: Von Takt zu Takt akzellerierte sie das Furioso ihres Klavierkonzerts. Höher und höher erhoben sich die musikalisch wettkämpfenden Wogen. Nabel an Nabel erstürmten wir die Steilhänge untermeerischer Vulkane. - Meine Hände zitterten. Sanft strich ich Dominique über Arme und Schenkel, und sie bäumte sich auf wie ein übermütiger Delphin. Im fliegenden Galopp stießen wir durch die siedende Brandung. Das Abendlicht hatte den Himmel mit Lava übergossen. Heiß war mir, unerträglich! - Und als hätte Dominique mein Unterbewußtes erraten, rissen ihre Hände augenblicklich mein Hemd in Stücke. Klickernd versprangen die Knöpfe im Kies.
„Hey!“ wollte ich rufen. - Aber ihre Fingernägel krallten sich tief in meine Brust. Blutige Striemen blieben zurück. Ich stöhnte angestachelt: „Na, warte!“ In halsbrecherischem Wellenritt peitschte mich Dominique zur Schaumkrone des Königs der Wogen. Ich stemmte mich dagegen, aber ihre Musik und ihr Duft waren stärker. Mit aller Heimtücke des Unterlegenen biß ich ihr schließlich den einsamen Knopf von der Strickweste. Der mußte mir büßen! ... für mein Hemd und so - eigentlich unschuldig.
„Hey!“ rief sie empört, als ich ihn ausspuckte. Tausend Klaviere spielten in meinem Kopf wilde Läufe. Ich lachte ausgelassen. Mit beiden Händen griff ich ihre bloßen Brüste. Wild fauchte sie wie ein Katzenhai. Und die letzten Sonnenstrahlen verwandelten ihre Haut in das fleckige Schuppenkleid des Meeresräubers. - Gleich würde meine Harpune in ihr explodieren!
Und dann plötzlich sah ich es : das Kreuz! Kein Herr Jesus, klein und in Gold zum Umhängen, sondern tätowiert in Schwarz und Rot genau unter Dominiques linker Brustwarze. - Und es stand kopf, wie es die Teufelsanbeter halten, umkrochen von einer grünlichen Schlange mit offenem Maul und Giftzähnen, vorgestreckt zum tödlichen Biß. -
Ich erschrak. Das Klavierspiel brach ab.
Dominique bemerkte mein Zucken. Doch übermütig preßte sie ihre Brust in meine Hände; nun hatte sie zu lachen, hell lachte sie, wild wie eine Glocke - und ließ dabei eine Sturmflut der Empfindung durch meinen Körper branden. Ich atmete schwer. Zusammen mit ihrem Duft setzten auch die Klaviertöne wieder ein. - Die Schlange auf ihrer Brust hatte mitgelacht. Ich hatte es genau gehört. Etwas heiser, fand ich, klang es.
Dominiques Brandungsfinale brachte mich unwiederruflich zum Höhepunkt. Ströme der Erfüllung spürte ich in mir zusammenschießen. Alles Flüssige, das in mir war, würde ich jetzt tief in sie hineinkatapultieren ... Da stand Sie auf. Sie erhob sich, mittendrin, viel zu früh, einfach so. Wie nichts löste sich unsere Verschraubung. Was ich für anatomisch undenkbar gehalten hatte, ganz leicht ging das. Und Dominique schien es nicht einmal etwas auszumachen. - Nur das Rauschen der Blätter war zu hören. Wo mich eben noch ihr warmer Körper umspült hatte, spürte ich jetzt nichts als Wind. - Wollte sie das? Oder hatte sie etwa nichts empfunden? - Ein kläglicher Springquell tröpfelte ins Leere, abbestellt, unerfüllt, unempfangen ... Und Dominique sprang lachend davon. Nicht einmal ahnen ließ ihre Hose die Schutzlosigkeit ihres geheimen weiblichen Paradieses. Ein paar Trippelschritte noch hüpfte sie rückwärts, und ich sah ihre Wölbungen lustig in die untergehende Sonne tanzen. Sie kicherte und winkte dazu. - Und die Schlange kicherte mit.
Dann war es still. Nur ihr Duft hing noch einen Klavierakkord lang über der Weggabel.
Den nächsten Tag ließ ich mich tätowieren: das gleiche Kreuz und die gleiche Schlange. - Nur Dominique sah ich nicht wieder. Der Malkurs ging ohne sie zu Ende, ihr Telefon nahm niemand nehr ab, und an ihrer Haustür hing eines Tages ein fremder Name.
Erst viel später hab' ich von dem Unfall erfahren: von dem Betrunkenen, der sie mit seiner Schrottkiste überfahren hat, damals an dem Abend, an dem sie mir verduftet ist. - Sofort tot, heißt es, soll sie gewesen sein ... Jochen, der alte Eselskopf, hat mir auf die Schulter geschlagen und gesagt, ich soll den Kopf nicht hängen lassen. Und gelacht hat er: zur Aufmunterung. - Und ich hab' ein zweites Lachen gehört, ein heiseres, unter meinem Hemd: die Schlange auf meiner Brust ... Die Tätowierung hab' ich wegmachen lassen. Es war schmerzhaft, aber zu überstehen. - Nur eine kleine Narbe erinnert noch an Dominique, genau unter meiner linken Brustwarze, da, wo eben das Herz ist.

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